Wortrückblick Folge 1 - Ein Jahr Sinnflut
Hier die erste Ausgabe des neuen Wortrückblicks! Kritisch, emotional und auch witzig all das beschreibt die neue Ausgabe vom allgäu.tv Wortrückblick. In cooler Location hat Ivica Mijajlovic seinen Text performt und was dabei rausgekommen ist, kann sich wirklich sehen lassen. Er spricht über ein Jahr Corona Pandemie. Ein Jahr mit widersprüchlichen Maßnahmen und den verschiedensten Emotionen. Ein Jahr alles anders. Über Berufsgruppe, die zu Helden wurden. Applaus bekommen, aber keine wirkliche Anerkennung. Er spricht über Wahnsinn und auch über Hoffnung.
Der Wortrückblick vereint Poesie mit aktuellen Themen, die das Allgäu bewegen. Er ist eine Kooperation zwischen allgäu.tv, dem Verein Allgäu Slam e.V. und dem Künstlerhaus Kempten.
Für alle nochmal zum nachlesen, hier der Text von Ivica:
Hallo , Ich bin Ivica Mijajlovic.
Ich bin Poet, Autor, Veranstalter, Student der Sozialen Arbeit und sogar Held des Alltags,
denn ich bin gelernter Einzelhandelskaufmann.
Aber zum Glück, bin ich kein deutscher Schauspieler.
Denn wie wir letzte Woche gesehen haben besitzen einige von Ihnen soviel Reflektion, Empathie und Feingefühl wie ein Til Schweiger Film.
Dieses Jahr sollten uns Solidarität, Demut und Verzicht lehren.
Einige haben aber wohl nichts gelernt außer Egoismus.
Und wieder heißt es : Nach uns die Sinnflut.
1 Jahr.
1 Jahr Corona.
1 Jahr billige Corona Bier Witze.
1 Jahr macht alles endlich auf.
1 Jahr macht alles endlich zu.
1 Jahr die nächsten Wochen werden entscheidend.
1 Jahr Applaus.
Was machen sie? Kassiererin. Ganz toll.
Was wünschen Sie? Mehr Geld? Bessere Arbeitsbedingungen. Nein das geht nicht , sie müssen doch an die arme Wirtschaft denken.
Auch die Kassiererin muss ihren Beitrag leisten.
Aber Applaus…ganz, ganz toll.
Was machen sie Pflegerin…..Heldin des Alltags.
Mehr Geld? Nein, das geht nicht. Pflege darf sich ja nicht lohnen.
Weniger Dokumentation? Nein.
Arbeitsbedingungen…nein aber Applaus. Ganz toll.
Was machen sie? Krankenschwesterinnen. Ganz, ganz toll.
Mehr Geld? Nein, das geht nicht.
Bessere Arbeitsbedingungen….nein, Krankenhäuser müssen sich lohnen.
Aber ganz ganz toll, Applaus.
1 Jahr Kanzlerfrage.
Die jetzt doch zur Kanzler*infrage wird.
Wenn sich zwei streiten, dann freut sich vielleicht die Dritte.
1 Jahr lang Atilla Hildmann.
1 Jahr lang Karl Lauterbach.
Herr Lauterbach, sie haben ja Recht aber ich kann sie nicht mehr sehen!
1 Jahr lang Maske.
Entschuldigung, die Maske…die gehört über die Nase.
Was? Ach sie können fast nicht damit atmen beim einkaufen.
Ja, das atmen fällt ihnen schwer.
Gut dass sie sich beschweren und nicht die Mitarbeiterinnen, die es 10 Stunden täglich tragen. Wissen sie wo das Atmen einem noch schwer fallen kann?.
AM BEATMUNGSGERÄT. DIE MASKE GEHÖRT üBER DIE NASE.
1 Jahr Verschwörung. 1 Jahr Pizzagate, 5G und Microsoft Chips.
1 Jahr C Promi Köche, paranoide Soul Sänger und gescheiterte Schlagerstars.
1 Jahr Demonstrieren.
Während einer Pandemie dagegen das man in einer Corona Diktatur lebt.
1 Jahr Corona leugnen.
1 Jahr Gesellschaft spalten.
1 Jahr mit Nazis marschieren.
1 Jahr Politikversagen ertragen, nicht anklagen, nichts sagen.
Weil man nicht kritisieren will, weil jetzt der falsche Zeitpunkt dafür ist.
1 Jahr Wirtschaftshilfen.
1 Jahr Bazooka.
Selbstständig?
Gastronomie?
Clubs?
Kleines Unternehmen?
Nein, die Bazooka die ist nur für große Unternehmen.
Künstler?
Aber, wenn sie nicht davon leben können, vielleicht Taxi fahren?
Wenn große Unternehmen nicht davon leben können,
ABER DAS SIND DOCH ARBEITSPLÄTZE. NEIN, liebe Lufthansa hier nimm mein Geld.
Aber Künstler, find ich ganz ganz toll. Applaus, Applaus.
1 Jahr Umverteilung.
Von Arm zu Reich natürlich.
Weil die Wirtschaft, die Wirtschaft muss ja auch gesund bleiben.
1 Jahr alles zu.
Kunst, Kultur, Kino zu.
Künstler, Parktheater, Barfly, Hörbar zu.
Theater, Slams, Konzerte zu.
1 Jahr kein Fasching, Festwoche, Feuerwehrfest.
1 Jahr kein Viehscheit, Volksfest, Vereinsleben.
1 Jahr lang Stille.
Stille. Stille. Herr…
Herr Lehrer, das Micro.
Sie müssen….das Micro anmachen.
1 Jahr lang Zoom und Teams.
1 Jahr lang Diskussionen über Abitur.
Und nicht über die Ausstattung.
Und nicht über ein Schulsystem aus dem vergangen Jahrtausend.
1 Jahr die Jugend vergessen.
1 Jahr über die Jugend statt mit der Jugend diskutieren.
1 Jahr ihres Lebens um Verzicht bitten.
Hoffentlich erinnern sie uns dran, wenn wir für ihre Zukunft verzichten müssen.
1 Jahr psychische Krankheiten.
1 Jahr keine Termine.
1 Jahr im Stich gelassene Mitarbeiterinnen.
1 Jahr im Stich gelassene Patienten.
1 Jahre auf Testen warten.
Frau Müller meinte damals mit Nasenbohren wirst du es nie zu etwas bringen.
Nimm das Frau Müller.
1 Jahr auf Impfung warten.
Aber die nächsten Wochen werden entscheidend.
Die Impfung ist da.
Wie…die Impfung auch für die ärmeren Länder.
Ohne Patente?
Aber….ja…wo kommen wir da denn hin?
Gesund sein muss sich ja auch lohnen!
1 Jahr Lockdown.
1 Jahr Social Distancing.
Keine Bühnen, keine Umarmungen, kein Applaus.
1 Jahr lang Netflix.
Ich hab 17 Kilo abgenommen, zwei Vereine gegründet, klingonisch gelernt und Game of Thrones durchgeschaut. 8 x mal.
Und nur eins davon ist gelogen.
Ich bin müde.
Ich kann nicht mehr.
Ich kann nicht mehr spazieren.
Ich will nicht mehr spazieren.
Ich will geimpft werden.
1 Jahr Mindestabstand.
Es wird Zeit für Mindestanstand.
Liebe Impfgegner*in, Liebe Coronaleugner*in,
liebe besorgte Bürger*in, auch ich bin müde
es geht mir nicht um euer Weltbild,
es geht mir um euer Menschenbild.
Menschen glauben an das fliegende Spaghetti-Monster, an idiotische Ideologien oder an Chuck Norris.
Woran du glaubst, ist mir egal.
Wichtig ist aber niemanden damit zu gefährden.
Natürlich lief nicht alles in der Krise ideal.
Und ja, man kann und soll Regierungen, Parteien, Maßnahmen kritisieren.
Aber doch nicht jetzt.
Denn auch ihr seid jemanden etwas schuldig.
Ihr seid es den Millionen Heldinnen des Alltags schuldig.
Die ihre Gesundheit riskieren, tagein, tagaus
für schlechten Lohn und ein bisschen Applaus.
Ihr seid es den 1,8 Millionen Pflegerinnen schuldig.
Die ihre Gesundheit riskieren, tagein, tagaus,
für schlechten Lohn und ein bisschen Applaus.
Ihr seit es den 900 000 Krankenhausmitarbeiterinnen schuldig.
Die ihre Gesundheit riskieren, tagein, tagaus,
für schlechten Lohn und ein bisschen Applaus.
Die seit einem Jahr am Limit arbeiten und leben, alles geben für Menschenleben,
und wir applaudieren daneben.
Ihr seid es 3 186 942 Toten schuldig.
3 186 942 Menschenleben.
Jeder von ihnen hinterlässt eine Geschichte, eine Familie.
Sie werden uns nicht in diese Zukunft begleiten können.
Aber vor allem seid ihr es euren Liebsten schuldig.
Euren Eltern, euren Kindern. Euren Großeltern, euren Enkeln.
Euren Freunden, euren Partnern.
Jeder von uns hat geliebte Menschen, und alle Menschen verdienen ein Leben und eine Zukunft.
Diese Krankheit werden wir besiegen.
Doch es kommt viel mehr auf uns in Zukunft zu.
Eine Klimakrise klopft an unsere Tür.
Die Menschlichkeit klopft an unsere Tür.
Und die Menschheit sperrt zu.
Doch bald wird alles wieder öffnen.
Wir werden tanzen, singen, umarmen.
Lachen, Lieben, Leben.
Wir werden Feste feiern.
Festwoche, Fasching, Feuerwehr.
Und wir, wir werden bestimmen wie diese zukünftige Welt aussehen wird.
Eine bessere, gerechtere Welt.
Bei einem Bier unter 4 Augen werden wir diskutieren.
Nicht auf Social Media sondern Im Künstler, im Park, im Barfly in der Hörbar.
Es hieß immer: Nach uns die Sinnflut.
Ich sage: Nach uns die Sinn Flut.
Eines Tages macht das alles Sinn.
Man sagt am Ende wird alles gut.
Und ist noch nicht alles gut, ist es verdammt nochmal nicht das Ende.
Nein.